Gemeinwirtschaftlicher Linienverkehr
In vielen Fällen ist eine eigenwirtschaftliche Gestaltung des ÖPNV nicht möglich. Das kann an hohen Anforderungen an das Verkehrsangebot liegen oder an nicht kostendeckenden Verbundfahrpreisen, die vorrangig nach politischen und nicht nach betriebswirtschaftlichen Kriterien festgelegt wurden. Der Unternehmer braucht in diesem Fall Zuschüsse, um seine Kosten zu decken.
Das europäische Vergaberecht (Verordnung (EG) 1370/2007) spricht hierbei von gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen, die ausgeglichen werden müssen. Bei einer gemeinwirtschaftlichen Verpflichtung handelt es sich um eine Leistung, die der Unternehmer aus wirtschaftlichen Gründen von sich aus nicht anbieten würde. Wie dieser Ausgleich im Detail zu erfolgen hat, ist in einem öffentlichen Dienstleistungsauftrag zu regeln, der dem Unternehmer vom Aufgabenträger erteilt wird.
Vergabe gemeinwirtschaftlicher Verkehre
Ein Vertrag, der die Vergabe öffentlicher Zuschüsse regelt, muss in der Regel im Wettbewerb vergeben werden. In diesem Wettbewerb (Ausschreibung) geht es darum festzustellen, welcher Bewerber bei den gegebenen Fahrgeld- und sonstigen Einnahmen den geringsten öffentlichen Zuschuss benötigt.
Doch keine Regel ohne Ausnahme: in folgenden Fällen ist eine Vergabe eines Öffentlichen Dienstleistungsauftrags ohne vorherige Ausschreibung möglich:
- wenn der Aufgabenträger einen eigenen Verkehrsbetrieb besitzt, darf er Öffentliche Dienstleistungsaufträge direkt an dieses Unternehmen (interner Betreiber) vergeben, ohne vorher auszuschreiben;
- wenn der Auftragswert weniger als 1 Million Euro pro Jahr oder die Verkehrsleistung weniger als 300.000 Kilometer pro Jahr beträgt, darf ebenfalls direkt vergeben werden.
- An ein Unternehmen, das nicht mehr als 23 Fahrzeuge betreibt, kann der Aufgabenträger sogar Dienstleistungsaufträge mit einem Auftragswert von 2 Millionen Euro pro Jahr oder einer Verkehrsleistung von bis zu 600.000 Kilometer ohne Ausschreibung direkt vergeben.
Für das Vergabeverfahren selber gelten strenge formale Vorschriften. Bevor eine Ausschreibung oder eine Direktvergabe vorgenommen wird, muss der Aufgabenträger nämlich eine sogenannte Vorabinformation veröffentlichen, in der er die gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen (Fahrplan, Fahrzeugqualität, Tarife etc.), die mit dem öffentlichen Dienstleistungsauftrag geregelt werden sollen, darstellt. Außerdem muss er darüber informieren, was für eine Form der Vergabe (Direktvergabe oder Ausschreibung) denn beabsichtigt ist.
Wenn nun ein Verkehrsunternehmen zu dem Schluss kommt, dass es in der Lage ist, die in der Vorabinformation beschriebenen Leistungen mit den vorhandenen Einnahmen ohne Zuschuss zu erbringen, kann es binnen 3 Monaten einen eigenwirtschaftlichen Antrag auf Genehmigung des betreffenden Verkehrs stellen. Wenn es die Genehmigung erhält, muss es dann aber über die gesamte Laufzeit der Genehmigung alle Verpflichtungen, die in der Vorabinformation aufgeführt waren, erfüllen.
Wenn keine eigenwirtschaftlichen Anträge eingehen, wird das Verfahren fortgesetzt und der Auftrag entweder ausgeschrieben oder entsprechend den Regeln direkt vergeben.
Es gibt noch eine weitere Ausnahme: wenn die gemeinwirtschaftliche Verpflichtung nur besondere Fahrpreise betrifft, kann der Aufgabenträger auch eine sogenannte Allgemeine Vorschrift erlassen. Diese Vorschrift beschreibt, welche Tarife anzuwenden sind und wie der finanzielle Ausgleich geregelt wird. In diesem Fall können interessierte Unternehmen einen eigenwirtschaftlichen Antrag stellen. Die Zahlungen aus der Allgemeinen Vorschrift sind im Rahmen einer eigenwirtschaftlichen Genehmigung zulässig.
Nettovertrag
Unabhängig davon, ob ein Öffentlicher Dienstleistungsauftrag nun direkt oder nach einer Ausschreibung erteilt wird, bleibt beim Verkehrsunternehmer das Einnahmerisiko (Marktrisiko) bestehen. Man spricht in diesem Fall von einem Nettovertrag.
Bruttovertrag
Nach herrschender Meinung trägt ein Unternehmer, der weniger als die Hälfte seiner Kosten mit den Markteinnahmen deckt, kein Marktrisiko. In diesem Fall darf die EU-Verordnung 1370 nicht angewendet werden, Direktvergaben sind in diesem Fall nicht möglich.
Nun muss der Aufgabenträger nach der Vergabeverordnung (VgV) ausschreiben. Der Verfahrensablauf mit der Vorabinformation und der Möglichkeit für eigenwirtschaftliche Anträge gilt hier allerdings ebenso wie bei einer Vergabe nach der EU-Verordnung 1370.
Der öffentliche Dienstleistungsauftrag regelt nun aber nicht mehr einen finanziellen Ausgleich gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen, sondern es geht um die Vergütung der gesamten Verkehrsleistung. Der Unternehmer hat mit den Fahrgeldeinnahmen nichts mehr zu tun, sondern er erhält eine feste Entlohnung seiner Leistung. Das Einnahmerisiko liegt bei einem solchen Bruttovertrag beim Aufgabenträger.